Italien - Teil 1: Die Adria-Überquerung

Geschrieben von Skipper René

20. September 2018

Mein Vater brachte mich um vier Uhr morgens zum Hannoveraner Flughafen wo gegen 05:45 Uhr ein Linienflug nach Split starten sollte. Meine Crew wird erst zwei Tage später ankommen. Jedoch bedurfte es für unsere geplante Reise nach Italien noch um einer wichtigen Abnahme, welche durch die "Hrvatska Registra Brodova" erfolgen sollte - eine Art TÜV für sämtliche Wasserfahrzeuge. Diese Abnahme war notwendig um überhaupt unser Vorhaben versicherungstechnisch umsetzen zu dürfen: Eine Überquerung der Adria von Kroatien nach Italien.

 

Yachten in kroatischen Gewässern werden seitens der Behörden in unterschiedlichen Klassen unterteilt. Unsere Polaris war bisher für die Klasse III ausgestattet und abgenommen. Sie erlaubte es, die adriatischen Gewässer im Bereich der kroatischen Küste zu bereisen. Für unser Vorhaben musste die Ausrüstung jedoch der Anforderungen der Klasse II entsprechen. Ich musste im Vorfeld die "Upisni List" - die Schiffspapiere - zum Hafenmeister nach Pula senden, damit dieser die "Navigation Area" von III auf Ia ändert. Zur Überquerung würde die Klasse II reichen, wir strebten jedoch die Klasse Ia an, da wir im Folgejahr nach Korfu reisen wollen. Die Umschreibung der Dokumente war nach vielen Wochen bürokratischer Wartezeit erledigt. Und erst dann kann durch die "Hrvatska Registar Brodova" eine entsprechende Abnahme auf Grundlage der eingetragenen "Navigation Area" erfolgen. Ich vereinbarte entsprechend mit der "HRB" einen Termin für zehn Uhr morgens in Split.

 

Mein Flieger startete pünktlich. Die Landeshauptstadt lag noch in der Morgendämmerung. Ich sah auf den Haupt- und Nebenstraßen zahlreiche leuchtende Scheinwerfer, welche zu Kraftfahrzeugen gehörten, welche ihren Weg durch die Dunkelheit bahnten. Irgendwann war das Flugzeug soweit gestiegen, dass die ersten Strahlen der Sonne den Innenraum erhellten. Ich steckte mir meine Kopfhörer in die Ohren, schlief ein und erwachte erst, als sich das Flugzeug bereits im Landeanflug befand. Die Luft war sehr diesig und es wurde höchste Zeit: Die für das Wochenende vorhergesagt Bora sollte den Rotz herausblasen. Die Bora ist ein kräftiger Nordost-Wind welcher neben einem zeitweiligem Temperatursturz auch angenehme, trockene Luft mit sich bringt. Mit ihren Nachwehen sollten wir Italien zügig erreichen können.

 

Aus dem Fenster blickend sah ich die im Dunst liegende Küste Kroatiens: Zadar, Biograd na Moru, die Kornate, die Krka, ich lächelte: Zum Glück fand unsere Reise zu dieser Jahreszeit statt, denn in der Hauptsaison ist das Land ob des Massentourismus unerträglich geworden. Die Freundschaft zwischen meiner und einer kroatischen Familie auf Hvar hält seit drei Generationen. Ich erinnere mich an eine Zeit, in welcher es in Hvar-Stadt nur wenig Tourismus, hauptsächlich Fischmarkt und vereinzelte Restaurants gab. Meine bruchstückhaften Erinnerungen reichen ungefähr zu meinem vierten Lebensjahr: Es gab wenig Tourismus und der kroatische Krieg tobte. Nicht an der Küste, wie uns auch unsere kroatischen Freunde versicherten. 

 

Das Flugzeug wurde durch eine etwas unsanfte Landung in Split durchgeschüttelt. Aus dem Flugzeug raus begab ich mich zielstrebig durch die Passkontrolle und wartete auf meinem Koffer. In ihm befanden sich zahlreiche Sicherheitsausrüstungen, welche wir für die erstrebte Klasse Ia benötigten. Am Gepäckband stehend wählte ich die Telefonnummer unsere kroatischen Freund Tonci, welcher sich in unserer Abwesenheit auf der Insel Solta um das Boot kümmert. Er hatte es in den frühen Morgenstunden nach Split gefahren.

"Warten sie in Nava Marina bis gleich!" - Er legte auf. Das war seine unnachahmliche Art.

 

Nachdem meine Reisetasche auf das Gepäckband ausgespuckt wurde begab ich mich zum Ausgang. Ich erkundigte mich nach dem nächsten Bus. Auf dem Weg dorthin bot mir ein freundlicher Kroate an, mich für 30€ bis zur Marina Nava zu fahren.

Ich genoss die Fahrt mit dem kroatischen Uber, welcher kaum Englisch sprach. Meine kroatischen Sprachkenntnisse reichen höchsten für eine Bierbestellung.

 

Unser Gespräch wurde durch den Google-Translate unterstützt. Übersetzte Stichworte meinerseits über meinen Frühjahrstour zur Krka und nach Biograd, erwiderte er nur mit "Ah! Biograd Na Moruuuu! Mhm?!" - Ich mochte ihn. Ich blickte aus dem Fenster des klapprigen Renaults und sah das blaue Wasser der Adria und die Hafenstadt Split. Wir passierten die Vorstadt und das Stadion des örtlichen Fußballvereins "Hajduk Split". An der Marina Nava angekommen drückte er mir mein Gepäck in die Hand. Wir verabschiedeten uns.

Bei brütender Hitze schlürrte ich meine Reisetasche hinter mir in Richtung der Stege der "Marina Nava". Und da war sie: Die Polaris. Die Dufour Classic 43, welche zu diesem Zeitpunkt bereits neunzehn Jahre im Besitz meiner Familie war. Tonci war nicht da und so hatte ich einen Moment mit ihr allein.

 

Ich warf meinen Koffer auf das Mitteldeck, stieg den Niedergang hinunter und begutachtete zuerst das Schalttableau über dem Navigationstisch. Das Volt-Meter zeigte eine Spannung von 13,6V an. Voll. Kein Wunder bei dem Sonnenschein. Unsere Solarmodule hatten sich absolut bewährt.  Diesel und Wasser waren zur Hälfte gefüllt. Meine rechte Hand ruhte am Handlauf vom Niedergang. Ich fühlte mich wie Han Solo auf seinem Millennium-Falcon.

 

Ich wartete ungeduldig auf die Zulassungspapiere unserer Yacht. Eine kroatische Freundin sollte sie mir überreichen: Sie betreut ein Appartement in Split, in welchem wir schon seit mehreren Jahren regelmäßig zu Gast sind. Sie ist sehr hilfsbereit und hatte die geänderten Dokumente für mich postalisch entgegengenommen. In Deutschland hätten sie mich nicht mehr rechtzeitig erreicht.

Sie stand pünktlich um neun Uhr an unserer Yacht und übergab mir das sehnlichst erwartete Schriftstück. 

Der Ingenieur der "HBR" kam gegen 12:00 Uhr und begutachtete unsere Ausstattung. Die Ausstattung entsprach den Anforderung. Für die höhere Klasse für weltweite Gewässer müssten wir noch die Rettungsinsel nachrüsten und unter anderem noch einen zusätzlichen Rettungsring besorgen. Für Italien sollte es erstmal reichen.

 

Er gab uns den benötigten Stempel für die Klasse II, um nach Italien übersetzten zu dürfen. Kurz nachdem der Ingenieur die Yacht verlies, war auch schon unser kroatische Freund Tonci an Bord. "Ist alles OK mit Boot?" - Ich fuhr ihn nach Rogac auf Solta, seine Heimatinsel. Er sprang von Bord, ich selber musste noch mit zwei Reparaturaufträgen nach Milna auf Brac. Beim vorherigen Bade-Segelörn ist beim obligatorischem Herunterspringen vom Bugkorb eine Stütze im Bereich des Gewindes gebrochen. 

 

Es war ein herrliches Wetter. Die Sonne strahlte und Polaris lief bei lauem Nordwind unter Segel mit drei Knoten gen Milna auf Brac. In der Hafeneinfahrt barg ich die Segel und kommunizierte per Funk mit dem Hafenmeister der Kommunal-Marina von Milna. 

"Haben sie reserviert?"  

"Nein!" entgegnete ich: "Der Steg ist doch frei!? Wer kommt denn noch?"

Es war bereits 17 Uhr! Zwischen mir und der nächsten Yacht war Platz für etwa vierzig Yachten. 

"Mirno More!" - Die Friedensflotte, unter der die Polaris auch schon unterwegs war.

Er blickte auf unseren Bug: "Polaris? Sie haben reserviert.!"

 

Ich war überrascht und legte an.

Kurz darauf kam die Regatta: Es war ein wunderschönes Schauspiel: Vierzig Yachten fuhren unter Segel in den Hafen von Milna, bargen diese und legten höchst diszipliniert römisch-katholisch (rückwärts) an den Steg! Sowas hatte ich bis dahin nur selten bestaunen dürfen. Da waren wirklich Profis an Werk.

 

Es stellt sich heraus, dass unser Edelstahl-Schweißer für mich im Vorfeld einen Liegeplatz reservierte. Er begutachtete unseren angeschlagenen Bugkorb: Er empfahl, beide Edelstahlschrauben durch deutlich Dickere zu tauschen. Eine Stunde später kam er mit unserem Bugkorb und vertraulicher wirkenden Gewinden zurück und befestigte ihn. Ich zahlte die geringe Gebühr für die tadellose Schweißarbeit und begab mich zu meinem Lieblingslokal. 

21. September 2018

Nach einem guten Abendessen in der Pizzeria "Slika" legte ich mich nach diesem langen Tag zu Bett und erwartete am nächsten Morgen die beiden Spezis Thomas und Patric Sauer. Sie sind die in dem Segelrevier bekannten Problemlöser. Solltet ihr mal Schwierigkeiten mit eurer Yacht haben: Hier ihre Telefonnummer: 00385912008813

 

 Heute verbauten sie für mich ein neues Absperrventil zwischen den Wassertanks von Bug und Heck. Endlich konnten wir wieder vernünftig Gewichtstrimmen. Fünf Minuten später verabschiedeten sie sich und ich segelte nach Split, wo meine Pensionistin und ihre Familie eine kleine Rundfahrt mit Polaris für ihre Mühe spendiert bekamen. Ihre Arbeiten als Dolmetscherin beim Hafenamt und ihre Tätigkeit als Briefkasten hatte unser Vorhaben deutlich erleichtert. Ich setzte sie unweit des Hafenamts ab und fuhr mit langsamer Fahrt nach Trogir-Seget zu einer schönen Bucht. Am nächsten frühen Morgen sollte der erste Teil meiner Crew dort aufschlagen. Nudeln mit Sauce sollten mein Abendessen sein. Die Sonne verschwand hinterm Horizont, es wurde langsam dunkel. Nachdem der Anker geworfen und das Ankerlicht den Masttop erhellte schlief ich auf Deck ein. 

 

Mein Wecker rappelte gegen 07 Uhr. Nach einem prüfenden Blick in die App "Flight Radar" machte ich das Boot klar. Der Flug meiner Segelfreunde Philipp, Henning, Julian und Ralf sollte in wenigen Minuten über meinem Kopf hinwegfliegen. Vor Anker liegend beobachtete ich den Punkt der Live-Tracking-Funktion dieser App. Und da war die Maschine, welche dicht neben unserer Bucht in Richtung Flughafen zur Landung ansetzte. Nach einem Foto des Flugzeugs riss ich meinen Anker aus dem Schlamm und tuckerte ruhig nach Trogir-Seget. Die See war glatt. Die Luft diesig. Es war wirklich Zeit für eine Bora. Ich fuhr zwecks seitlichem Anlegens langsam an den Steg heran. Die Heck- und Vorleine lagen auf Höhe des geöffneten seitlichen Türchens der Reeling bereit. Motor neutral. Mit der Heckleine in der Hand sprang ich auf den Steg. Ich legte sie zügig über eine kleine Klampe, fing die Yacht mittels der über der Reeling bereitliegenden Vorleine ein, machte fest und wartete auf meine Crew. Es war trotz der späten Jahreszeit reges treiben! Duzende Putzkräfte wuselten auf den Charteryachten herum. Viele Crews mit Rollenkoffern gingen den Steg auf und ab. Ein Marinero sprach mich an, wie lang ich bleiben wolle: Ich bat um etwa zwanzig Minuten Zeit um meine Crew einzusammeln. "Nema Problema" - und da kamen sie auch schon: 

 

Nach einer herzlichen Begrüßung warfen wir zügig die Reisetaschen (und Ralfis Reisetäschchen) auf das Vordeck der Yacht und legten ab. Jeder bekam ein alkoholfreies Karlovacko in die Hand. Motor aus: Segeln. Wir plapperten. Hatten wir uns doch über ein Jahr nicht gesehen! Es wurde Zeit anzulegen: Ich sah auf die Karte. Eigentlich sollte Maslinica an Backbord liegen, doch irgendwas stimmte nicht mit den Umrissen der seitlich befindlichen Insel: Wir waren schon dran vorbei gefahren! Der Wind und das Gespräch hatte uns die Zeit vergessen lassen. Gleichzeitig erreichte uns eine Nachricht unseres gegen 13 Uhr eintreffenden Crewmitglied Morten: Er wird wegen einer Flugverspätung erst fünf Stunden später erscheinen. Das erleichterte unsere Situation, wollten wir doch eigentlich den Grundeinkauf schon vor seiner Ankunft erledigt haben um am nächsten Tag unseren Absprungpunkt und "Port of Entry" (in diesem Fall eher "Port of Exit") gen Italien zu erreichen: Vis.

 

Wir fuhren eine Wende, die Yacht rauschte mit etwa sechs Knoten um die von Maslinica auf Solta westlich liegende Insel, wo wir zwei Stunden später anlegten. Unser Tonci stand bereit und reichte die Mooring. Einen Grundeinkauf im nahegelegenem Konzum später fuhren wir wieder zur Marina Baotic um den Nachkömmling Morten einzuladen. Auf der Überfahrt entschlossen wir uns auf Vorschlag von Philipp und Ralf ob der Reise nach Italien ein paar "Mann über Bord Manöver" zu trainieren. Ihre Professionalität beeindruckt mich zutiefst.

Wir fuhren zur Tankstelle der Marina Baotic, sammelten den dort wartenden Morten ein und segelten zurück nach Maslinica, wo wir im Restaurant von "Georg" aßen und uns in die Kojen begaben. Ein anderer schlief schon im Restaurant ein. 

 

Am nächsten Morgen wünschte uns Tonci eine "Gute Reise!" und "Machen sie Segel bei Bura klein! Warten sie vielleicht bis Montag!" Wir legten ab und segelten nach Vis. Es war ein herrlicher Tag bei strahlendem Sonnenschein! Mit halben Wind kamen wir in wenigen Stunden rüber und lagen in der Marina Vis vor Mooring.

Wir wussten, dass eine sehr schwere Bora über Dalmatien fegen wird und berieten über das weitere Vorgehen.

Diese 'Bura' sahen Co-Skipper Philipp und ich schon eine Woche zuvor. Um nach Italien zu gelangen ist eine Bora, wenn sie nicht zu stark ist, prinzipiell gut, aber die kommende sollte die schwerste September-Bora seit einem Jahrhundert gewesen sein, mit Spitzen von 160km/h! In Vis besorgten wir noch ein paar Safety-Leinen und eine italienische Flagge.

22. September 2018

Am nächsten Morgen legten wir zeitig in Vis ab. Die Bora sollte gegen 15:00 Uhr loslegen. Über das kroatische Festland lag schon ein drohender dunkler Schatten. Mit Sorge betrachtete ich das Naturgeschehen. Sollte er sich weiter verdunkeln ist größte Obacht geboten. Wir fuhren nördlich dicht an Vis vorbei. Ich hatte die Hoffnung, noch Lastovo erreichen zu können. Wir berieten uns, da mein Bauchgefühl sagte, dass die Bora deutlich eher einsetzen wird. Ich wollte an der östlichen Spitze von Vis in einer vor Bora geschützten Bucht mit Bojen-Feld abwettern.

Uns fuhr schon ein Schlauchboot entgegen um uns beim Festmachen an der Boje zu helfen. Wir machten fest und mussten nicht einmal bezahlen. Bei Sturm seien die Bojen umsonst. Das Wetter war noch schön. Wir badeten und machten uns eine Mahlzeit. Cirren, umgangssprachlich Schleierwolken genannt, zogen landseits auf, kletterten übers Firmament und schirmten den Himmel vollständig ab. Die Sonne war verdeckt und die Umgebung mehr und mehr verdunkelt. Mein Handy vibrierte ununterbrochen: In Facebook wurden in diversen Foren Videos der am Festland tobenden Bora veröffentlicht. Ich stieg den Niedergang hinauf und beobachtete das Wetter. Die Luft war noch warm, es wehte noch ein schwacher südlicher Wind, welcher unvermittelt einschlief. 

Es regte sich kein Lüftchen. Zum Festland blinkend wurde die schwarze Wand über der kroatische Küste immer gewaltiger: Wenig später setzte ein schwacher nordöstlicher Wind ein, welcher gleich der Beschleunigung eines Sportwagens zügig stärker wurde. Er ließ die Luft um gewiss zehn Grad erkalten! Und dann trafen die ersten Böen die Polaris, welche deren Heck und die der vereinzelt anderen im Bojen-Feld abwetternden Yachten auf einem Schlag nach Süd-Ost drehte. Das Licht wurde zunehmend verschluckt und dann setzte der Regen ein. Ich vergewisserte mich der Kopfschläge unsere beiden Leinen und begab mich den Niedergang hinab, wo wir das Abwettern mit Musik und Getränken zelebrierten. 

23. September 2018

Am nächsten Morgen, gegen 05:30 Uhr, wurde ich durch Philipp geweckt: Die Bora würde abschwächen und sei segelbar. Wir lösten unsere beiden Leinen zur Boje und segelten zwecks Ausklarieren zur Komiza nach Vis. Morten klemmte seine Kamera an das Vorstag, welche beeindruckend den Sonnenaufgang über Lastovo filmte. Um acht Uhr erreichten wir die Komiza. Ich begab mich zur Hafenmeisterin und erklärte ihr unser Vorhaben nach Italien zu reisen. Sie verständigte die Polizei welche hierfür zuständig ist. Sie traf eine Stunde später ein. Der kroatische Schutzmann fuhr mit seinem Streifenwagen zu einem umfunktionierten Container vor. Er stieg mit zwei große Stempel in der Hand aus und begab sich zum "Büro". Das Gespräch wie folgt:  (frei übersetzt)

"Wohin wollen sie ausreisen?!"

"...nach Italien!"

"Wohin?"

"...Italien! Wir wollen Übersegeln."

"Wohin genau?"

"Na gut, ... ehm, sagen wir ... Manfredonia!"

"Ok. Wann wollen sie fahren nach Italien?!"

"Ehm, ... in zehn Minuten?"

"Okay!" Er vermerkte als Ankunftsort "Manfredonia" auf einem dünnen Stück Behördenpapier und als Abreisezeit 10:04 Uhr.

Er verpasste Ausreisestempel in die Pässe und auf die Crew-Liste.

 

Wir gingen gemeinsam zur Polaris. Er wollte die ganze Crew sehen, glich die Pässe ab und verabschiedete sich vor uns. Er wartete am Steg bis wir den Hafen verließen. Das ganze hat übrigens nichts gekostet. Beim Auslaufen spielten wir über unsere Cockpit-Lautsprecher Azzurro und verließen pünktlich um 10:04 Uhr den Hafen. Wir setzten die Segel und begaben uns mit den Nachwehen der Bora nach Italien. Raumschot. Genua voll, Großsegel halb. Drei Meter Welle. Die Segel und das Rigg schlugen immer mal wieder. Eine halbe Stunde. Die Polaris gierte, sobald die Genua wieder vom Wind gepackt wurde um darauf zurück gependelt zu werden. Sie machte kaum vernünftig fahrt. Die geballte Kompetenz an Bord konnte die Segel nicht vernünftig stellen, ohne dass etwas schlug. Bis ein Crew-Mitglied, ohne Schein und nur mit einem Törn Segelerfahrung, den rettenden Einwand brachte: "Macht mal die Genua kleiner!" - Morten.

 

Wir setzten es in der Tat um. Die Genau war zu einem Viertel geöffnet, das Großsegel zu Zweidrittel. Ab diesem Moment brauste die Polaris mit dieser Segelstellung etwa dreizehn Stunden nach Italien. Mit 8,5 Knoten Fahrt! "Das System stimmte nicht" - war der trockene Kommentar eines erfahrenen Regatta-Seglers an Bord. Die Insel Vis war zwei Stunden hinter als wir bereits das italienische Festland erspähen konnten. Die Bora hatte mit seiner frischen, kalten Luft für eine ordentliche Weitsicht gesorgt.

 

Auf dem Weg nach sahen wir neben fliegenden Fischen unzählige Containerschiffe. Unter Krängung (Fachjargon für Schräglage) kochten wir mit adriatischem Meerwasser eine ordentliche Portion Nudeln mit Pesto. Ein beliebter Klassiker. Als wir die italienischen Hoheitsgewässer erreichten setzten wir die grün-weiß-rote italienische Flagge auf Steuerbord. 

24. September 2018

Gegen Mitternacht saß ich vorn auf dem Ankerkasten und hörte Musik, während die Polaris "Hart am Wind" zügig in Richtung der italienischen Küste brauste. Wir sahen schon das Leuchtfeuer von Vieste und die Lichter der Städtchen welche sich drumherum ansiedelten. Der Wind nahm etwas zu, die Frequenz der Wellen wurde kürzer. Der Bug der Polaris tauchte immer mal wieder so stark in das Meer ein, dass das Wasser über das Deck spritze. Die Bora war stark und wir waren schnell. Ich begab mich ins Cockpit und besprach das kommende Manöver: Wir wollten in den Hafen von Vieste einlaufen. Dieser war hinter der Hafeneinfahrt durch Steinmolen vor Bora geschützt. Wir bargen die Segel, ließen unseren Penta an und fuhren in den Hafen. 

 

Eine halbe Seemeile vor der Einfahrt hatten wir bereits nur etwa acht Meter Wassertiefe. Der Wind fegte mit fünfundzwanzig bis dreißig Knoten über uns hinweg. Ich fuhr die Polaris in die Hafeneinfahrt, Philipp sagte mir die Tiefen an: Zwei Meter Wassertiefe! "1,9 Meter! 1,8 Meter!" - Mir war zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt, wie viel Puffer zwischen der angezeigter und der tatsächlicher Wassertiefe bestand. In Kroatien kannte ich jeden Stein und das Gewässer ist vergleichsweise unproblematisch. Eine Handbreit von der Küste entfernt hatte man doch oftmals dutzende Meter Wassertiefe.

 

Ich wusste, dass der angezeigte Wert des Tiefenmessers nicht der Wahrheit entspricht und pessimistisch eingestellt war. Doch wie viel Puffer gab es? Liefen wir auf Grund wäre das ein riesiges Problem! Wir befanden uns mit langsamer Fahrt in der Einfahrt, den starken Wind im Rücken: Ich fasste meinen Entschluss und drehte die Yacht auf dem Sporn. Wenden auf engstem Raum. Der Penta röhrte, die Gischt schlug nach der Kehrtwende gegen die Yacht und Crew. Unsere Bekleidung war patschnass, da half auch die Sprayhood nichts.

 

"1,8 Meter!" brüllte Philipp gegen Wind und Wetter ankämpfend. "1,9 Meter!" "2,1 Meter!" und kurz darauf "....Zwo Komma Fünf...!"

Wind und Regen schlugen uns in die Fresse aber unser Motor jagte uns problemlos hinaus. "Wir fahren nach Manfredonia! Der Hafen hier ist mir zu flach!"

 

Mit Rückenwind und gewaltiger Strömung sauste die Polaris mit bis zu 11 Knoten über Grund am italienischen Sporn hinunter. Wir setzten keine Segel. Der Tag war lang genug geworden und wir schnell genug. Die Strömung sollte uns auf dem Rückweg noch Schwierigkeiten bereiten. Etwa fünfundzwanzig Meilen waren es bis Manfredonia. Ein Teil der Crew legte sich wohlverdient pennen. Ich wollte wach bleiben. Crew-Mitglied Henning unterstütze mich. Gegen drei Uhr manövriere er die Yacht durch ein von mir unterschätztes mächtiges Bojen-Feld des Industriehafens von Manfredonia bis hin zum Yachthafen, welcher Platz für vierhundertfünzig Yachten bot. Wir funken diesen an. Trotz der späten Uhrzeit bekamen wir Antwort. (Vielleicht war man auch mal froh, das jemand vorbeischaut. Die Stege waren leer.) 

 

Dort wurden wir von zwei freundlichen Italienern empfangen. Es war 04:00 Uhr. Wir betraten nach einem langen Segeltag und einer tollen Überfahrt italienischen Boden! Und fielen kurz darauf übermüdet ins Bett. 

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